Claudia Roth hat auf der letztjährigen Mitgliederversammlung des Deutschen Kulturrats berichtet, dass sie auf den Fluren des Reichstagsgebäudes ob ihres Eintretens für die einheimische Comicszene auch schon mal von CDU-Hinterbänklern mit den Worten angegangen werde, Comicförderung sei „Unkrautförderung“.
Immerhin: Die CSU hält sich offenbar zurück [vielleicht wegen Söder und seinem Spidey-Faible] und die AfD auch [wohl weil ein ihr nahestehender Verlag versucht, mit rassistischen und deutschtümelnden Comics zu reüssieren].
Und in der Merz-CDU wird auch nicht mehr von „Ungeziefer“ gefaselt, vondern „nur noch“ von „Unkraut“. Das klingt zwar grün gewendet, aber ausgerottet werden soll wohl immer noch alles, was „Schund“ sein soll [und die Kids womöglich für ein paar Minuten von Displays und Bildschirmen fernhält].
Mit 1000 wenig optimistischen Grüßen,
JRN
Wenn diese ganzen Gestalten dann wenigstens für die Kunst und Kultur, die angeblich kein Schund ist, abseits und unabhängig von ihrem repräsentativen und staatstragenden Wert brennen würden. Aber von denen hat doch kein einziger die Recherche im Original gelesen oder würde erkennen, wenn in "Mantel und Degen" eine Oper von Lully zitiert wird (was übrigens nicht der Fall ist, es wird nur eine Schauspielmusik von Lully zitiert). Das hiesige Kunstbanausentum fängt doch vom Kopf an zu stinken.
Wie gut die dt Kunstförderung funktioniert sieht man ja an der Berlinale! ;-)
Natürlich nicht. In den Nuller- und frühen Zehnerjahren war der Buchhandel in Deutschland ein Paradies, weil die Barsortimente extrem zuverlässig über Nacht so gut wie alles geliefert haben. Das gab's so fast nirgends. Aber dieses nirgends sonst erreichte logistische Wunderwerk war in Deutschland, das sich halt nicht so wahnsinnig für Bücher interessiert, Perlen vor die Säue. Und es wurde auch entwickelt, damit der stationäre Buchhandel Amazon etwas entgegensetzen konnte. Aber die merkbefreite Kundschaft hat natürlich nur in den seltensten Fällen geschnallt, dass sie ein in der Buchhandlung bestelltes Buch in den allermeisten Fällen dort am nächsten oder übernächsten Tag abholen kann. Es kam zum Sterben der kleinen Buchhandlungen, und die Barsortimente gerieten in die Krise. Ende der 10er, ich glaube 2018, brachen die Umsätze im Buchhandel ein. Kurz darauf hat eines der beiden großen Barsortimente Insolvenz angemeldet, das andere hat radikal sein Programm ausgemistet. Die großen Verlage konnten das zwar verkraften, für Kleinverlage war das ein Desaster. Während ihre Rechnungen beim insolventen Barsortiment nicht gezahlt wurden, trudelten vom anderen gigantische Remissionen ein, für die manche Küchentischverleger dann fünfstellige Beträge gutschreiben mussten. Es wurden viele Kredite aufgenommen.
Aufgrund der Pandemie mit hohen Krankenständen, höheren Energiekosten etc. hat sich die Situation auch nach der Übernahme eines der beiden Barsortimente durch einen Käufer nicht entspannt. Ich warte eigentlich täglich darauf, dass dieses Barsortiment erneut Insolvenz anmeldet oder eine ähnliche Katastrophe passiert. Das andere hätte nicht die Kapazitäten, die Lücke zu füllen. Und alle Barsortimente sind gerade sehr darum bemüht, im Einkauf zu sparen, was bedeutet, dass viele Titel nicht vorrätig sind und Kleinverlage und Titel, die sich nicht oft verkaufen, ausgelistet werden. Und das ist scheiße für die Verlage, denn Verfügbarkeit im stationären Buchhandel ist halt essentiell. Das trifft dann auch die großen Verlage bei den mischkalkulierten Titeln, die keinen massenhaften Absatz finden. Und auch die großen Verlage müssen immer mehr auf Bestseller setzen. Bei den Barsortimenten, im Börsenverein und den großen Ketten vertreten viele das Credo, dass es zu viele Bücher gibt und dass es die Aufgabe des Buchhandels sei, die Anzahl der lieferbaren Bücher auf eine überschaubare Menge gut verkäuflicher Titel zu beschränken. Entsprechend sehen viele Verlagsprogramme heute auch aus. (Der Comicmarkt sieht da zum Glück noch etwas anders aus, aber auch hier lesen wir ja immer öfter, dass Arc nicht geht, weil es sich nicht rechnet, dass Splitter die und jene Serie nach hinten schiebt oder nicht mehr weiter in Betracht zieht, weil die Nachfrage nicht berauschend ist. Der Wille, schlechter laufende Titel mitzuziehen, wird eventuell auch hier schwächer.)
Der stationäre Buchhandel ist schon sehr abhängig vom Funktionieren der Barsortimente, und die funktionieren nun mal nicht mehr so gut. Die Kleinverlage haben keine Alternative. Wenn die Barsortimente ihre Titel auslisten oder ignorieren oder ihre Rechnungen nicht bezahlen, dann ist für diese Titel die Tür in den stationären Buchhandel zu. Klar beliefern die die Buchhandlungen auch direkt. Aber das ist umständlich, zeitaufwendig, arbeitsaufwändig, viele Buchläden machen das dann auch nicht. Ich weiß gar nicht, ob Mitarbeitende von Thalia und Hugendubel zum Beispiel überhaupt ein einzelnes Buch bei einem Kleinverlag bestellen dürfen, wenn die Kundschaft danach fragt und es bestellen möchte.
Ist hier im Forum nicht auch jemand von PPM unterwegs? Ich fände schon mal spannend, zu lesen, wie so die Erfahrungen von PPM mit den Barsortimenten und den Buchhandlungen sind.
Ich bin schon zufrieden, DEINE Ausführungen zu lesen. Meinen Respekt vor diesem Gesamtüberblick, den du da hast. Ich bin ja eher völlig mit Vermutungen unterwegs, die sich aus meinen Beobachtungen und Erfahrungen ergeben. Ich habe dieses Thema - auch mit Bezug auf PPM - schon so oft angestoßen, dass ich mal vermute, hier ist keiner von PPM, denn dann hätte der bestimmt schon oft empört aufgemerkt ob meiner Vermutungen. Ich fände insgesamt eine Stellungnahme auch von PPM zur Lage total interessant. PPM selbst ist ja im Grunde Ergebnis einer ganz bestimmten Marktsituation gewesen. Es wäre jetzt durchaus die Frage, ob nicht erneut eine Marktsituation gegeben ist, die nach einer Reaktion schreit, um die Marktsituation der Comicverlage zu verbessern.
"Sie irren sich. Es gibt keine Regeln." (Jonathan E)
@kormoran :
Dass „Kultur“ in der Bundesrepublik Deutschland Ländersache ist, trägt sicherlich nicht dazu bei, den „Bundeskopf“ besser aussehen zu lassen ... von einem europäischen Kulturbewusstsein ganz zu schweigen.
Dementsprechend suchen Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker spartenübergreifend gern nach „nationalen Eigenheiten“. Das macht es praktisch unmöglich, dass in Deutschland jemand eine Lanze für „spanische“ Gemälde, „französische“ Opern oder „belgische“ Comics bricht. [Dass dabei auch einem engstirnigen Nationalismus das Wort geredet wird, erinnert an Goethes Zauberlehrling, der den AfD-Besen irgendwann nicht mehr Herr wird.]
Dass Claudia Roth für „ihre“ Comicschaffenden brennt, nehme ich ihr ab. Und wo sie kann, kümmert sie sich darum, dass die Form Comic [zum Beispiel in Ausschreibungstexten zu vom BKM initiierten Wettbewerben] gleichberechtigt neben etwa Literatur oder Bildender Kunst erscheint. Ansonsten kann sie nur gutheißen, dass inzwischen immerhin vier Bundesländer Stipendien an Comicschaffende vergeben ... und so sanften Druck auf die zwölf Länder ausüben, die bisher nichts dergleichen unternommen haben.
Und an dieser Stelle werden aus den „ganzen Gestalten“ plötzlich die kulturpolitisch interessierten Bürgerinnen und Bürger in besagten zwölf Bundesländern, die von ihren Kulturpolitikerinnen und -politikern bisher nicht in ausreichendem Maß gefordert haben, Comicförderung auf die Agenda zu setzen.
„Comicförderung“ muss ja nicht heißen, ausschließlich Stipendien für „eigene“ Zeichnerinnen und Zeichner zu schaffen. Jeweils ein Bundesland könnte sich ja zum Beispiel auch um die Nachlasssicherung kümmern, um den bundesweiten Comicfachhandel, um den Betrieb einer Art Villa Massimo in Brüssel, Paris oder Angouleme [oder in Tokio oder New York] oder oder oder ...
Mit 1000 Grüßen,
JRN
Edit:
Mehrfaches Crossposting.
Mein Beitrag bezieht sich auf Deinen Beitrag #180.
Geändert von JRN (27.02.2024 um 11:33 Uhr)
Um Gottes Willen, was muss dass denn für ein Müll sein. Das könnte schon wegen der Peinlichkeit wieder lustig werden. Ein X-Men Pendant mit weißen Rasta-Musikern und steuerzahlenden Ärzten mit 2 Kindern statt Mutanten die als Pariahs von Elon Musk in die Schlacht gegen den Ricarda Lang als Blob geführt werden?
So viel Originalität wird dort wohl nicht zu finden sein wenn man sich mal den Pendant-Quatsch aus Amiland oder die Reconquista/IB Games anschaut.
@deadshot :
Der „Müll“ erfüllt leider seinen Zweck.
Und der ist ja nun nicht, tolle Geschichten zu erzählen, interessante Figuren vorzustellen oder beeindruckendes Artwork anzubieten, sondern Emotionen zu schüren.
In diesem Fall Emotionen wie „Hass“, „Hybris“ oder „Bedrohungsangst“.
Du und ich, wir mögen dafür nicht die Zielgruppe sein.
Aber das heißt nicht, dass es eine Zielgruppe nicht gibt.
Mit 1000 Grüßen,
JRN
Comics von der Alternative für Doofe? Gibt's da irgendwelche Beispiele?
Um noch mal darauf zurückzukommen:
Ich bin kürzlich bei youtube über eine Besprechung zum Film "Das Fünfte Element" gestolpert. Der Herr Rezensor war insofern gut bewandert, als dass er den Einfluss von Moebius und Jean-Claude Mézières klar benannt hat.
Aber: Bei Mézières hatte er zwar "Valerian" auf dem Schirm, allerdings sprach er die ganze Zeit von "Valérian et Laureline" - offensichtlich war ihm gar nicht bewusst, dass es die Comics auch auf Deutsch gibt.
Und bei Moebius wurde dessen Werk als Comicschaffender gleich ganz ignoriert; stattdessen wurde er als "DER Moebius, der die Entwürfe zu Jodorowskys DUNE angefertigt hat" benannt.
So viel zu "um die Comics kommt man als Kulturjournalist nicht mehr herum".
Neid und Missgunst sind meine besten Freunde.
Aber witzig ist das schon. Es gibt eben doch zuviele "Ich weiß auch was-Schreiberlinge". Ich war selbst so einer. Habe in den 90ern einen Artikel über Raumschiff Enterprise bei Premiere geschrieben, der mir heute SO peinlich ist. Heute, wo ja das typische der TOS-Reihe 1000fach irgendwo veröffentlicht wurde und wo ICH definitiv nicht der Kenner oder der investigative Journalist war, sondern eher Plattheiten zum Besten gab. Ich war mir auch nicht bewusst, wie populär diese Serie in Online-Angelegenheiten werden würde. Aber man muss auch mit sich gnädig sein. Der Schreiberlinge wurden seit Blog-Zeiten viele gesucht und gefunden. Und vorher waren diverse Stadt- und Szene-Magazine mit im Kern eher politischem Anspruch auch froh, einen kulturell ansatzweise versierten Typen wie mich zu finden. Meine Comic-Artikel waren auch aus heutiger Sicht noch ganz gut. Aber besagter TOS Artikel ist einfach nur peinlich.
"Sie irren sich. Es gibt keine Regeln." (Jonathan E)
Nach meiner Erfahrung nimmt man als "Freier" jeden Schreibauftrag an, um über die Runden zu kommen, und saugt sich dann im schlimmsten Fall und im Geiste der "Kompetenzsimulation" halt irgendwas aus den Fingern... so läuft das doch in diesem Geschäft, wobei ich nicht weiß, ob es heute, wo überall die Redaktionen zusammengeschrumpft werden und die Auflagen runtergehen, überhaupt noch möglich ist, als freier Journalist zu überleben...
Um da mal LN zu zitieren: der sagte Anfang der 2000er zu mir "Dein Problem ist, dass sich bei allem was du im Comicbereich als Schreiberling tun möchtest, immer jemand findet, der es auch umsonst macht." Das war damals die Fankultur. Und so war 'über die Runden kommen' mit Schreiben sowieso nur einzelnen möglich (z.B. LN), während Leute wie ich eben im Bereich der städtischen, lokalen Printmedien überall mal dies und das geschrieben haben und an Bezahlung doch eh nicht gedacht haben.
"Sie irren sich. Es gibt keine Regeln." (Jonathan E)
Gruss!,liver - Du bist von mir genervt? Kotz Dich hier aus!
- Bitte beachten Sie auch den Hinweis zu Rechtsthemen -
Support your local dealer.
-Unterstütz Deinen örtlichen Kleingewerbetreibenden-
- © 2000-2024 by: Oliver Manstein [Disclaimer] -
Meinst du Koch, Neff & Volckmar? Das ist jetzt Zeitfracht.
Genau, KNV ist das Barsortiment, das insolvent ging und dann von Zeitfracht gekauft wurde.
Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Ich les' da immer "Zwietracht".
Ein Leben ohne Roboter ist möglich, aber sinnlos.
Ich hoffe, da besteht kein zeitlicher Zusammenhang zu meiner Tätigkeit dort, der einen kausalen Zusammenhang in den Bereich der Spekulation bringen könnte...
Mal kurz in die Firmengeschichte geschaut:Das war das Zeitfenster, in dem ich da war - und als es eben noch Koehler & Volckmar (KV) war. Und ja, in Köln.Unter dem Namen Koehler & Volckmar (KV) wurde 1955 in Köln der Buchgroßhandel neu aufgebaut. […] 2004 fusionierten die Firmen Koch, Neff & Oetinger (KNO) und Koehler & Volckmar (KV) zu Koch, Neff & Volckmar (KNV).
Geändert von ZAQ (01.03.2024 um 00:46 Uhr)
Gruss!,liver - Du bist von mir genervt? Kotz Dich hier aus!
- Bitte beachten Sie auch den Hinweis zu Rechtsthemen -
Support your local dealer.
-Unterstütz Deinen örtlichen Kleingewerbetreibenden-
- © 2000-2024 by: Oliver Manstein [Disclaimer] -
Das Splash-Netzwerk: Splashp@ges
- Splashbooks
- Splashcomics
- Splashgames
Unsere Kooperationspartner: Sammlerecke - Chinabooks - Salleck Publications - Splitter - Cross Cult - Paninicomics - Die Neunte Comicsalon Erlangen Lustige Taschenbücher |
Lesezeichen