Mission: Das Silmarillion – Accomplished.
Leicht war das aber ehrlich gesagt nicht so ganz. Das Silmarillion ist eben kein Roman, der eine Geschichte erzählt, wie es beim Hobbit oder dem Herrn der Ringe der Fall ist, sondern es ist eine Art pseudo-historische Sammlung, welche die gesamte Mythologie von Mittelwerde zusammenfasst. Da wird eine Schöpfungsgeschichte ähnlich des Alten Testaments ausgebreitet und ellenlange Stammbäume heruntergerasselt, dass einem vor lauter Namen schon die Ohren klingeln. Dass da in Ehrerbietung an die Vorfahren auch gerne mal Namen wiederverwendet werden macht es auch nicht gerade einfacher.
All diese Namen sind aber im Grunde auch nicht wirklich wichtig um einen Gesamteindruck zu bekommen und man muss sie sich auch nicht alle merken, bekommt sicher eh weniger als ein Prozent der Leser hin. Dennoch ist es faszinierend zu sehen, inwieweit Tolkien seine von ihm erschaffene Welt ausgearbeitet hat und wie er sich die Ursprünge vorstellte. Selbst unsere eigene frühe Vorstellung einer flachen Welt wurde eingearbeitet und erst später hat sich Mittelerde zu einer Kugel gewandelt. Äußerst interessant! Wie im Grunde das ganze Buch, wenn man eben keine spannende, zusammenhängende Fantasy- oder Abenteuergeschichte erwartet, sondern sich mit der Welt von Mittelerde an sich befassen möchte. Da wird eben auch sehr viel recht nüchtern erklärt und ein Füllhorn von Informationen prasselt auf einen ein.
Hier meine alte Taschenbuchausgabe, die mittlerweile eine neue Besitzerin gefunden hat:
Sehr geholfen haben mir bei diesem zweiten Leserversuch (den ersten hatte ich vor Jahren bereits nach etwa 50 Seiten abgebrochen) drei Dinge:
- Hatte ich im Vorfeld die Anhänge zum Herrn der Ringe gelesen, worin vieles der komplexen Schöpfungstheorie bereits grob umrissen wurde und auch bereits ganze Auszüge aus dem Silmarillion enthalten waren.
- Habe ich mir für diesen zweiten Angriff eine neue Ausgabe des Silmarillions zugelegt. Dass diese meiner haptischen Vorliebe für schnieke Hardcover entgegenkommt, gerade im Vergleich zu meinem Taschenbuch, welches ich beim Erstversuch nutze, war ein kleiner Bonus. Hauptvorteil dieser Ausgabe aber war ein umfassendes Vorwort von J. R. R. Tolkien selbst. Klar, der Meister ist schon lange von uns gegangen, aber hier wurde ein großer Auszug aus einem ellenlangen Brief, den Tolkien einst verfasste, um Milton Waldman Grundzüge seiner Welt zu erläutern. So wird auf diesen immerhin knapp 30 Seiten die Gesamtheit des Inhalts des Silmarillions vom Autor höchstpersönlich schon mal grob umrissen, was wirklich unheimlich hilfreich ist, um den Überblick und einen roten Faden zu bewahren.
- Habe ich nebenher stets den „Historischen Atlas von Mittelerde“ zu Rate gezogen. Den hatte ich schon vor vielen Jahren gekauft, weil der von außen so toll aufgemacht ist, und war damals ehrlich gesagt massiv enttäuscht, weil ich im Innern wunderschön ausgestaltete Landkarten der Tolkien-Welt erwartet hatte, wie das auf dem Cover eben suggeriert wird. Jetzt wusste ich aber ja, was auf mich zukommt und zum Silmarillion war das wirklich die perfekte Begleitlektüre, denn da wurde „wissenschaftlich“ an die Sache rangegangen und, in schwarz/weiß/grau/blau gehalten, sowohl Detail- als auch Übersichtskarten aller Bereiche Mittelerdes zu verschiedenen Zeitaltern angefertigt. So konnte ich immer verfolgen, wo wir uns gerade befinden, weil die Location bei den ganzen enthaltenen Geschichten schon häufig sprunghaft wechselt. Das macht alles gleich nochmal greifbarer und nachvollziehbarer. Zusätzlich gibt es zu den Karten auch immer erläuternden Text, was dazu führt, dass man mit den Anhängen des Herrn der Ringe, dem Atlas und dem Silmarillion zusammen, die ein oder andere Passage gleich dreimal vorgekaut bekommt, was das Verständnis deutlich erhöht.
Der „Historische Atlas von Mittelerde“, der wirklich hilfreich und informativ ist, wenn man zuvor weiß, worauf man sich einlässt. Enthalten sind alle wichtigen Schauplätze aus dem Silmarillion, dem Hobbit und dem Herrn der Ringe, also quasi ein Mittelerde-Rundumschlag:
Das klingt jetzt alles vielleicht so, dass es an eine komplexe, verschachtelte und sperrige wissenschaftliche Arbeit grenzt, das Silmarillion durchzuackern. Dem ist aber ganz und gar nicht so. Ja der Einstieg ist nicht ganz einfach und kann durchaus komplex und ermüdend wirken, aber spätestens nach 150-200 Seiten beginnen durchaus schöne Kurzgeschichten, die zwar einerseits für sich stehen können, aber auch chronologisch wichtige Ereignisse, vor allem während der ersten Zeitalters Mittelerdes, näher beleuchten. Da wird es dann auch mal romantisch, abenteuerlich und fantastisch. Es werden Kämpfe ausgefochten, Reisen angetreten und Drachen bekämpft, Königreiche zu ihrer Blüte geführt und später dem Untergang entgegen getrieben. Viele Stellen wird man wiedererkennen, da schon Personen und Charaktere am Handeln sind, die im Herrn der Ringe Erwähnung finden oder gar dort auftreten.
In diesen Geschichten wird auch der anfänglich sehr nüchtern erscheinende „Berichterstatter“-Stil zugunsten von klassischen Erzählmotiven beiseitegeschoben und es sind wirklich schöne und unterhaltsame Erzählungen dabei, die ausgebreitet werden und Tolkiens Welt enorme Tiefe verleihen. Dabei werden natürlich ganz viele Metaphern und Parallelen zu unserer Welt gezogen und auch reichlich Gesellschaftskritik geübt, das ist schon großes Kino. Das erste Zeitalter nimmt klar den Löwenanteil ein, das zweite Zeitalter wird nur recht kurz behandelt und im dritten Zeitalter geht es schließlich mit großen Schritten auf den Ringkrieg zu, bevor das Buch kurz nach dem Beginn des vierten Zeitalters endet.
Noch ein paar Fotos meiner neuen Ausgabe die, genau wie die „Herr der Ringe“ Ausgabe im grauen Schuber, in Leinen gebunden wurde und mit Originalillustrationen von Tolkien selbst daherkommt. Der Schuber ist diesmal blau, der Schnitt grün und die Lesebändchen sind Blau und Silber. Vorne und hinten finden sich schicke Karten von Beleriand:
Nein, es ist kein nervenzerrender Pageturner, aber es ist ein Zeugnis einer überbordenden Schaffenskraft eines ganz außergewöhnlichen Mannes. Die Anhänge bieten dann wieder massenhaft Informationen zu allerlei Details wie der Aussprache von Namen, Namensregister und Stammbäume. Da schlägt man mal nach, liest das aber nicht am Stück weg. Dass Peter Jackson im Hobbit gleich einen ganzen Schwung Ereignisse aus dem Silmarillion mit verwertet hat war mir schon klar nachdem ich die Filme gesehen hatte, denn die wichen ja dermaßen stark vom Buch ab, dass es gar nicht anders sein konnte. Ganz viele der in dem Dreiteileier ergänzten Teile finden sich hier wieder, aber häufig zu anderen Zeiten, mit anderen Protagonisten oder mit anderem Fortgang. Die Hobbit-Filme sind also ein recht wilder, kruder Mix, der sicher zu unterhalten weiß, aber bei weitem nicht an den Herrn der Ringe herankommt. Das wusste ich allerdings auch schon vor der Lektüre des Silmarillion. Auch viele Teile der Amazon-Serie „Die Ringe der Macht“ wird man in einzelnen Abschnitten des Silmarillion wiederfinden, was mir ebenfalls gut gefiel. Wertungstechnisch ist das jetzt natürlich enorm schwierig. Von der Warte Kreativität und Worldbuilding eine glasklare 10/10, vom Unterhaltungswert eher irgendwo bei 5-6/10, aber ich muss der ganzen Schaffenskraft des Autors einfach Tribut zollen, gerade im Mittelteil gab es schon auch viele schöne und fesselnde Geschichten und insgesamt ist man als Fan einfach froh es endlich gelesen zu haben und so viel mehr über die Welt von Mittelerde zu wissen als vorher.
8/10
Wie geht es jetzt weiter? Ganz einfach, da mir die Geschichte von Túrin Turambar als eine der interessantesten aufgefallen ist und mein weiteres Interesse geweckt hat wird „Die Kinder Húrins“, in welchem Túrin die Hauptrolle einnimmt, meine nächste Mittelerde-Lektüre sein. Bzw. habe ich damit schon angefangen, weil ich das Silmarillion schon vor ein paar Tagen beendet habe, aber zu krank war um was Längeres dazu zu tippen. Weshalb ich die Einzelbände zu „Beren und Lúthien“ sowie „Der Fall von Gondolin“ nicht geplant habe zu lesen, werde ich erläutern, wenn ich über „Die Kinder Húrins“ ein paar Zeilen dalasse.
VG, God_W.
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