WATCHMEN
Habe jetzt meinen ultimativen Watchmen Marathon beendet
Das heisst:
Film (Director’s Cut) -> Watchmen (Noir) -> Watching the Watchmen (Gibbons) -> Before Watchmen (alle Minis)
Zur Geschichte ist eigentlich schon alles geschrieben worden.
Für mich ist Watchmen nach wie vor die beste Science-Fiction (das Wort „Superhelden“ finde ich hier unpassend) Novelle die im Comicbereich je erschienen ist.
Mit Watchmen hat Alan Moore alles zum Thema Superhelden gesagt und damit nichts anderes als eine neue Zeitrechnung eingeleitet.
Seit erscheinen wird versucht Watchmen zu kopieren (Marvels CIVIL WAR, anyone?) ohne je das Original zu erreichen.
Es sind die ganzen Kleinigkeiten die sich wie Mosaiksteinchen zu einem ganz großen Bild zusammensetzen. Hier greifen die Rädchen ineinander das selbst Doc Manhattan seine Freude hätte.
Achtet man auf die Details die sich erst durch mehrmaliges lesen so richtig offenbaren.
Moore hebt die Darstellung auf eine neue Realitätsebene. In den 12 Ausgaben verleiht er seinen Figuren mehr Background als es DC in 10 Jahren mit anderen Charakteren schafft.
Genial ist die auch die Idee mit den Anhängen zwischen den Kapiteln. Auszüge aus der Biographie von Holly Mason (Nite Owl I), Akten, Interviews und Artikel verleihen Authentizität.
Wie selbstverständlich lesen die Figuren in diesem Universum Comics wie etwa „Action Comics“ und fühlen sich dann wiederum von Superman inspiriert.
Für mich stellt sich immer wieder mal eine Frage:
Was würde passieren wenn es die Superhelden in „echt“ gäbe?
Wie würde es die Bevölkerung verändern, wenn maskierte Vigilanten das Gesetz in die ihre Hände nehmen?
Es dürfte so ziemlich alles verändern (in WM ist der Doc der einzige mit gottgleichen Kräften), aber es könnte eigentlich keine normale Gerichtsverhandlung mehr geben („Ehrenwerter Richter, das war nicht ich sondern der Typ der unsichtbar machen kann… oder der Gestaltwandler der mich nachahmte…“). Keine Sportveranstaltung unter fairen Bedingungen wäre mehr möglich, usw…
Ok, Watchmen treibt es nicht soweit. Was letzten Endes bleibt ist die einzig unausweichliche und logische Konsequenz:
Nämlich das Verbot (Keene Act). Und natürlich Piratencomics
Dabei schafft es Moore auf seine Art eine Parallelcomichistorie aufzubauen.
Die erste Generation der „Helden“ sind die Minutemen (Golden/Silver Age).
Ein ziemlich kaputter Haufen. Sally Jupiter (Silk Spectre I) ist eine erfolglose Schauspielerin die so ihren Marktwert pushen will.
Dollar Bill eine Werbeidee einer Bank um Kunden anzulocken (ausgerechnet das Markenzeichen der Superhelden, das Cape, wird ihm später zum Verhängnis und zu einem unheroischen Tod führen – ein brillanter Seitenhieb).
Edward Blake (Comedian) ist ein Drecksack aus dem Lehrbuch und versucht sogar ein Teammitglied zu vergewaltigen.
Kann mich an keine Szene erinnern die so jemals zu vor erschienen ist (was eiert hier DC bei „Identity Crisis“ über 20 Jahre später noch herum).
Ein radikaler Einschnitt im Mainstream den sich wirklich nur Moore traut. Dabei bleibt es nicht bei einem plumpen Schockeffekt, über die Jahre wird eine interessante Entwicklung zwischen Sally und Edward aufgezeigt.
Hooded Justice bleibt zwielichtig und seine homosexuelle Beziehung zu Captain Metropolis zerreisst beinahe das Team. Ebenso wie Silhouette deren lesbische Lebensweise zum Ausschluss führt.
Ende der 80er immer noch ein Tabuthema.
Byron Lewis (Mothman) scheint ein genialer Tüftler zu sein, immerhin baut er sich einen Kostüm mit dem er wohl fliegen (oder zumindest gleiten) kann. Erliegt aber am Ende dem Alkohol und wird eingewiesen.
Einzig Holly Mason (Nite Owl I) hat das Herz am rechten Fleck und versucht wirklich zu helfen.
Man darf sich auch fragen gegen, oder für was die Minutemen überhaupt kämpften. Moore hält sich hier bedeckt. Bis auf Moloch scheint es keine großartigen Gegner gegeben zu haben.
Die Heldentaten werden sich eher in Grenzen gehalten haben. Wirft auch wiederum die alte Frage auf ob es die Schurken überhaupt nur gibt weil die Helden sie als Gegenstück brauchen?
Was bleibt also wenn die nicht vorhanden sind?
Die Dekonstruktion der Helden nimmt ihren Anfang und wird mit der nächsten Generation weitergeführt.
Moore hält den Lesern einen Spiegel der Zeit vor. Gewalt ist „in“ (er selber ist da nicht ganz unschuldig). Bei allem muss noch eine Schippe draufgelegt werden.
Am stärksten drückt sich das Bild durch Rorschach aus. Ein faschistischer Psychopath (a‘ Punisher & co) der die Welt strikt in schwarz und weiß unterteilt. Gerade bei Watchmen verschwimmen die Grenzen und es gibt eben kein einfaches Gut und Böse. Bezeichnend das ausgerechnet Rorschach beim Publikum am besten ankommt…
Sein späterer Partner Dan Dreiberg (Nite Owl II) ist ähnlich gestrickt wie sein Vorgänger.
Wohl ein bisschen an Bruce Wayne angelehnt ist er eigentlich ein verklemmter Typ der seinen Fetisch ausleben kann.
Das Auftauchen von Doc Manhattan ändert wiederum alles. Ein Supergott in Menschengestalt lässt die anderen verblassen. Seine Anwesenheit mach alle anderen mit einem Schlag obsolet.
Und er ist natürlich Amerikaner. Kudos auch hier für seine Darstellung.
Ein Typ der nicht mehr in menschlichen Bahnen denkt, schert sich nicht mehr um Banalitäten wie sein Äußeres. Dazu gehört das Kapitel in dem seine Origin erzählt wird und nebenbei seine Wahrnehmung der Zeit bildlich umsetzt zum Besten des ganzen Buches.
Laurie (Silk Spectre II) wird von ihrer Mutter in die ungewollte Rolle gedrängtt. Wahrscheinlich beginnt sie die Beziehung mit Doc Manhattan um aus diesem Käfig auszubrechen und ihrer Mutter eines auszuwischen.
Der Comedian treibt derweil immer noch sein Unwesen. Nur darf er es diesesmal hochoffiziell unter dem Deckelmäntelchen der Regierung machen.
Der letzte im Bunde ist Adrian Veidt (Ozymandias). Die Figur bleibt eigentlich zum Rest ziemlich blass. Hochintelligent ist er von den alten Ägyptern und Eroberern richtig besessen.
Er leidet an einem Art Gottkomplex, bei dem er versucht sich selbst und die Welt zu verbessern.
Dabei setzt er ethisch fragwürdige Methoden um sein Ansinnen durchzusetzen.
Bleibt ein moralisches Dilemma, sind etwa 200.000 Tote in Hiroshima gerechtfertigt, wenn damit ein Krieg mit möglichen Millionen Toten verhindert werden könnte?
Moore macht es einem nicht leicht. Er fordert seine Leser und kaut ihm keine Antworten vor.
Das macht aber dieses Werk gerade so großartig, weil der Leser hier für mündig genug gehalten wird seine eigenen Rückschlüsse zu ziehen.
Dazu passt die realistische Darstellung von Gibbons und fängt die Atmosphäre perfekt ein (mir grausts wenn ich die Variant Cover von Jim Lee bei Before Watchman sehe…)
Das ganze Werk ist durchzogen von Anspielungen und Metaphern. Es beginnt bei der Doomsday Clock die unaufhaltsam tickt und die schleichende atomare Bedrohung illustriert.
Moore zieht die Schraubstöcke an (die fortlaufende Abwärtsspirale erinnert an „Herz der Finsternis“ / „Apocalypse Now“) der Weltuntergang aus amerikanischer Sicht folgt dann bald.
Wäre wohl ein psychologischer harter Schlag wie Flugzeuge die als Terrorwerkzeuge in Türme fliegen…
Zu guter Letzt das Symbol mit dem Smiley. Die ultimative Verzerrung und abstrakteste Cartoondarstellung eines Gesichtes die jeder kennt, vermischt mit der „Realität“ des Blutes.
Aus heutiger Sicht mag vieles an Watchmen seine Einzigartigkeit verloren haben, für damals war die die Geschichte aber wegweisend. Für die Comicindustrie Fluch und Segen gleichzeitig.
Die Helden aus den großen Verlagen haben bis heute an dem Schlag zu knabbern denen hier Moore, Miller & Co ihnen verpasst haben.
Wurde wieder mal mehr Text als gewollt
Um es kurz zu machen:
Jeder der sich für das Medium interessiert sollte Watchmen gelesen haben
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