Unglaublich wie man irren kann: War ich doch tatsächlich so naiv zu glauben, Hamburgs unbekannte Zeichnertalente hätten nur auf die ALLIGATOR FARM gewartet!
Aber die Idee ist doch auch klasse, oder? - Eine 75 Quadratmeter große Wohnung, vollgepackt mit Comics, Artbooks, Lehrbüchern, Filmen. Dazu Computer, Zeichentische und -materialien. Und so gut gerüstet den Armeen heimlicher Schubladenzeichner endlich einmal eine CHANCE geben.
Die armen Schweine. "Laßt mich beweisen, daß ich's draufhabe! Ich will nichts anderes als ein COMICZEICHNER sein!" , brüllen sie im Chor, folglich würde schon bald ein riesiger Mob Zeichenwütiger das Studio belagern und sich um die Plätze prügeln. Ich hätte meinen Arsch auf ein ständig volles Haus verwettet, auf hochmotivierte Zeichner, die dann nach einigen Monaten mit erstklassigen Comicstories so richtig auf die Kacke hauen...
Ich gestehe: Nach rund einem Jahr ALLIGATOR FARM bin ich eines besseren belehrt und neige mein Haupt in Demut! Denn die Bude steht meist zur Hälfte leer, die Projekte kommen im Schneckentempo voran, langsam wird das finanzielle Eis dünn und zu guter Letzt haben sich Schwund und Klau leider nicht als Fremdworte im Studio herausgestellt.
Oha... also keine schöne, bunte Studiowelt, sondern nur Blut, Schweiß und Tränen? Quatsch. Wir haben hier viel Spaß, und es geht auch voran - aber in der ALLIGATOR FARM spiegeln sich all die Abgründe der Comic-Wüste Deutschland wider. Und das liegt eben nicht nur an den Verlagen!
Ein einfaches Rechenbeispiel zeigt, wo der Hund begraben ist:
- von rund 20 Zeichnern, die sich per E-Mail bewerben, kriegen 19 eine positive Antwort; sie sollen sich telefonisch melden, damit man einen Termin vereinbaren kann. Davon rufen dann am Ende 10 tatsächlich an.
- von 10 Zeichnern, die sich telefonisch melden, kommen 7 zum vereinbarten Termin; davon kriegen 6 testweise einen Platz im Studio.
- von 6 Zeichnern, denen wir eine Zusage geben, lassen sich 3 mehr als einmal blicken. Der Rest geht auf Tauchstation.
- von 3 Zeichnern, die häufiger kommen, stellt sich bei zweien bald heraus, daß es mit ihrer Zuverlässigkeit nicht zum besten bestellt ist. Sie fehlen wochenlang ohne jede Rückmeldung, weshalb man sie nicht in Projekte integrieren kann.
Bleibt EINER.
Schön wär's. wenn's auf die Dauer wirklich einer wäre: Da gibt es Leute, die werden ein halbes Jahr aufgebaut, und dann kommen sie urplötzlich auf die Idee, sich doch lieber anderen Herausforderungen zuzuwenden oder gleich die Stadt zu verlassen. Sowas sorgt nicht gerade für gute Stimmung im Studio.
Am Ende läuft alles darauf hinaus, daß man unglaublich viele Zeichner durch das Studio schleusen muß, nur um einige wenige gute übrig zu behalten. Dabei scheitert es bei den den meisten gar nicht mal daran, daß sie nicht zeichnen können.
Nein. Sie haben einfach keinen ARSCH in der Hose!
Die einen sind verwöhnt von Mami, Papi und dem Freundeskreis, die doch immer Beifall geklatscht haben und sie für die Größten halten. Sie sind der Idee auf den Leim gegangen, ausgerechnet IHNEN als Supertalent würde einfach alles nur so zufliegen! Also finden sie es gar nicht klasse, daß ihnen hier im Studio zur Behebung handwerklicher Problem als Allheilmittel ständiges ÜBEN anempfohlen wird. Uff, das riecht nach Anstrengung, nicht nach purem Spaß...
Genauso inkonsequent ist eine andere Sorte Zeichner. Nicht ohne Grund hatten wir ja als ideale Zielgruppe Zeichner zwischen 16 und 24 Jahren genannt. Da finden sich einfach mehr Irre, die bereit sind, für die Erfüllung ihrer Träume die Großmutter zu verkaufen.
Nicht so die älteren Kaliber. Die sind tendenziell eher vernünftig und verschieben die nicht gerade lukrative Zeichnerei sicherheitshalber erst einmal auf "später". Und weil viele das schon seit Jahren so machen, ist die ALLIGATOR FARM für sie genau der richtige Ort, Nägel mit Köpfen zu machen. Wirklich! Ich zeig's Euch! In zwei Wochen, wenn ich weniger zu tun habe... Oder zwei Monaten. Oder zwei Jahren.
Diese immer gleiche Show ist auf Dauer schon sehr ermüdend. Sie erinnert an "Und ewig grüßt das Murmeltier" und führt zu der fast schon neurotischen Vorstellung, daß es doch irgendeinen Trick geben müsse, mit der sich der Gordische Knoten durchschlagen läßt.
Vielleicht mit der Presse zusammenarbeiten, um hier einen ordentlichen Rummel zu veranstalten? Damit auch der letzte Hamburger Schubladenzeichner von der Existenz der ALLIGATOR FARM erfährt. Klar, dann könnten wir ordentlich sieben und uns wirklich die Rosinen herauspicken.
Leider sind aber bislang alle Versuche in dieser Richtung (z. B. ZEICHNERJAGD) im Sande verlaufen. Die Medien lassen uns am ausgestreckten Arm verhungern, solange wir nicht selbst ein schlagzeilenmachendes Heft herausbringen. Aber auch das wird nicht einfach werden, weil uns nach einem Jahr langsam die finanziellen Mittel ausgehen.
Dann also einen finanzstarken Kooperationspartner und Sponsor besorgen? Vergiß es. Die wollen ernten, nicht säen. Für langfristige Aufbauarbeit rückt keiner Scheine raus.
Vielleicht Kohle nehmen für die Mitarbeit in der ALLIGATOR FARM? Viele scheinen ja nach der Devise zu handeln, "Was nichts kostet, ist auch nichts wert!" Gute Idee, machen wir auch vielleicht demnächst. Wenn sie für ihre Zeit zahlen. kommen manche Damen und Herren möglicherweise besser in die Hufe. Später richten wir dann auch noch eine Folterwerkstatt ein, für Abstrafungen aller Art.
Ja, das hört sich jetzt alles ziemlich brutal an, und tatsächlich ist der Aufbau eines derartigen Studios ein ganz schön harter Ritt. Den man nur durchhalten kann, wenn man trotz aller Widrigkeiten die eigene Radikalität nicht aus den Augen verliert:
SCHEISSEGAL, WEITERMACHEN! BIS ZUM LETZTEN BLEISTIFT!
Denn am Ende sind des tatsächlich die Besten und Radikalsten, die hier übrig bleiben, diejenigen, die für die Erfüllung ihrer Träume tatsächlich den Arsch bewegen und es nicht bei frommen Absichtserklärungen belassen. Qualität läßt sich eben nicht mit irgendwelche Leuten produzieren, die "immer schon mal Comiczeichnen lernen wollen".
Es braucht dazu Leute wie Wittek, der mit seinen 40 Jahren zwar auch schon ein alter Sack ist, aber eben tatsächlich für Comics LEBT und so zeigt, daß es kein biologisches Gesetz gibt, daß einen ab einem bestimmten Alter dazu zwingt, sich auf den "Ernst des Lebens" zu konzentrieren und als desillusionierte Mumie durch die Gegend zu wandeln. Wenn Du unbedingt Comics zeichnen willst, dann ZEICHNE und quatsche uns nicht mit Deinen 1000 Gründen voll, weshalb es gerade DIESE WOCHE nicht geht! (Könnt Ihr Euch eigentlich wirklich vorstellen, WIE VIEL ZEIT wir schon mit Leuten verknallt haben, die sich als absolute NULLNUMMERN erwiesen haben? Das NERVT!)
Das erste Jahr ALLIGATOR FARM war wirklich nicht immer purer Spaß, aber immerhin hat dieser Ritt durch manche Untiefe dazu geführt, daß jetzt klar ist, mit wem in Zukunft zu rechnen ist. Ich will hier ganz besonders Vincent Burmeister, Philip Cassirer, Till Felix und Simone Kesterton nennen, die zusammen mit Wittek das Rückgrat der ALLIGATOR FARM bilden. Nicht vergessen will ich auch Mischa Bernauer, Inge Förtsch und Arne Peters, die über das ganze Jahr immer wieder klargemacht haben, daß mit ihnen zu rechnen ist.
Auch wenn es finanziell momentan ziemlich düster aussieht, rechnen wir nicht damit, daß uns irgendwer unter die Arme greift. Irgendwie wird es schon weitergehen, Notfallpläne liegen griffbereit in der Schublade, und ich bin sicher, daß die ALLIGATOR FARM auch das Jahr 2006 überstehen wird.
Natürlich sägt es an unseren Nerven, daß sich die Fertigstellung von PERRY, ALPHATIER und ELBSCHOCK immer wieder verzögert. Aber Gut Ding will eben Weile haben. Wir werden solange weiter an der Qualitätsschraube drehen und nach neuen, außergewöhnlichen Zeichnern graben, bis es passt. Und Euch die Spucke wegbleibt...
Und allen Zeichnern, die es vielleicht doch mal bei der ALLIGATOR FARM versuchen wollen, sei ins Stammbuch geschrieben: DU BIST DABEI, wenn Du bereit bist, ALLES zu geben.
In allen anderen Fällen: BLEIB UNS VOM LEIB!
Karl
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