„Wie bei fast allen meinen Arbeiten war es auch hier eine spontane Entscheidung, ein 600-Seiten starkes Buch zu machen über ein Thema, von dem ich absolut nichts wusste“, erzählt Lutes über die Ursprünge von „Berlin“. Grösser kann ein Sprung kaum sein: von der amerikanischen Hauptstadt der Gegenkultur Anfang der 90er Jahre hinein in die Metropole Europas, in die 20er Jahre. Ein Sprung über Kontinente und Generationen. Lutes war zu diesem Zeitpunkt noch nie in Berlin gewesen. „Ich hatte eine vage Ahnung davon, was damals los war, ich wusste, dass Bertolt Brecht dort war und Albert Einstein irgendwie auch.“
In Folge dessen deckt sich Lutes mit allem nur erreichbaren Referenzmaterial über Berlin in den 20er und 30er Jahren ein. Trotzdem muss er an einigen Stellen improvisieren und natürlich lassen sich so Fehler nicht vermeiden, die erst später in der Paperback-Ausgabe ausgemerzt werden können. Trotzdem erscheinen ab 1996 die ersten Heftausgaben von „Berlin“.
Am Ende wird „Berlin“ aus drei Bücher zu je acht Kapiteln bestehen, die den Lebensweg unzähliger Figuren vom September 1928 bis zur Machtergreifung Hitlers Januar ’33 schildern. Derzeit sitzt Lutes am insgesamt 13. Kapitel der Saga. Wenn er das Werk (nach dem aktuellen Stand der Planung) frühestens 2007 abgeschlossen haben wird, wird er über 10 Jahre seines Lebens damit verbracht haben.
Die Liebesgeschichte der jungen Künstlerin Marthe Müller und des Journalisten Kurt Severing (unschwer zu erkennen als Käthe Kollwitz und Kurt Tucholsky, auch wenn beide natürlich nie etwas miteinander hatten) dient ihm als roter Faden für ein umfangreiches Tryptichon der Ruhe vor dem Sturm. Lutes erzählt von einer Stadt auf dem Pulverfass, eine Stadt, die sich selbst feiert und doch schon anfängt im aufkommenden Chaos zu versinken. Und er erzählt natürlich von den universalen Themen Liebe, Einsamkeit und Tod. Dabei behält Lutes stets erzählerische Distanz zum Geschehen - ohne auch nur einmal unterkühlt zu wirken. Schon jetzt lässt sich ablesen, dass „Berlin“ nach Fertigstellung einen zentralen Platz im Olymp der internationalen Comicliteratur erhalten wird.
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