Was haben wir denn hier? Einen Midlife-Crisis-Öko-Thriller in Hochglanzoptik?



Asphalt Blues



Also manchmal gibt es ja so Comicbände, die sucht man sich gar nicht so direkt ganz bewusst aus, sondern man wird beinahe schon von denen ausgesucht. „Asphalt Blues“ war für mich so ein Band. Ich wildere immer mal über die Homepage von Schreiber & Leser, einfach weil es ein großartiger, enorm kundennaher Verlag ist, der stets hervorragende Qualität abliefert. Dazu gehört das S&L Magazin zu den wenigen „Werbeblättchen“, die ich regelmäßig komplett lese, denn da stecken oft wirklich interessante Infos drin.


Bei einem dieser Ausflüge, entweder Homepage oder Magazin, sprang mir das Cover von Asphalt Blues ins Auge. Selbiges und der Titel haben mich direkt angesprochen, aber irgendwie hatte ich direkt das Gefühl, dass ich mich über den Inhalt nicht spoilern lassen möchte, weshalb ich den zugehörigen Text gar nicht erst gelesen habe. Dennoch landete der Band nicht ganz oben auf der Einkaufsliste, sondern eher so im Bereich „wenn er mir mal irgendwo günstig über den Weg läuft…“, immerhin wusste ich ja nicht was mich im Inneren erwarten würde (weil ich mich eben nicht informiert habe, was ich aber auch nicht wollte. Ich weiß, klingt komisch, ist aber so).

Wie es der Zufall so wollte hatte ich einige Monate nach Erscheinen des Bandes ein kleineres Problemchen mit einer Lieferung von Schreiber & Leser. Wie immer wurde diese Kleinigkeit äußerst kundenfreundlich und zuvorkommend aus der Welt geschafft, doch aufgrund eines kleinen Versehens gab es dabei eine leichte Verzögerung. Absolut kein Problem, doch freundlich wie der Verlag nun mal ist durfte ich mir als „kleine“ Entschädigung für dieses wirklich nicht schlimme Missgeschick zusätzlich einen Band aus dem Verlagsprogramm aussuchen. So kam ich völlig unverhofft zu Jaouen Salaüns „Asphalt Blues“. Was genau ist jetzt also Thema bei diesem für mich etwas mysteriösen Comic?


Der hübsche Mickael fährt in seinem futuristisch anmutenden Tesla durch die Morgendämmerung, als ein Anruf eingeht und seine recht enttäuscht wirkende Freundin Nina auf dem Bildschirm erscheint. Offensichtlich kam ihr Geliebter in der vergangenen Nacht nicht nach Hause und wie sich herausstellt schwebt da wohl schon länger ein Fremdgehverdacht über der Beziehung. Mickael hatte wohl schon früher Probleme mit Treue, nimmt alles zu leicht und sieht sich selbst als unwiderstehlich an. Aktuell denkt er wohl zu oft an die heißblütige Tänzerin Helen und diesmal ist das Maß für Nina voll, sie trennt sich von Mickael.

Schon während dieses Intros hatte ich immer so ein unbestimmtes Gefühl, dass etwas nicht so ganz passt, was sich spätestens als Mickaels Wagen spontan die Farbe von knallrot zu tiefem blau wechselt bestätigt. Wie sich herausstellt befinden wir uns in einer nahen Zukunft, nach einem Zeitsprung um 13 Jahre im Jahr 2038, was bedeutet, dass unsere Geschichte 2025 begann. Ob spontaner Farbwechsel von Autos in zwei Jahren möglich sein wird? Wir werden es erleben, aber darum soll es jetzt nicht gehen. Wir springen wieder in die Leben von Nina, die sich zu einer erfolgreichen Modedesignerin entwickelt hat und mit einem hochbezahlten Manager verheiratet ist, und Mickael, der offensichtlich gesetzter und treuer geworden ist, denn noch immer ist die Tänzerin Helen an seiner Seite.


Die Welt hungert derweil nach Energie, was mächtige Großkonzerne und korrupte Politiker für ihren Ausbau von Macht und Reichtum ausnutzen wollen. Idealisten und Verfechter grüner stehen dem entgegen, was sich aus der Not heraus sogar bis zu „Öko-Terrorismus“ auswächst. Wer von unseren Protagonisten sich da mit reinziehen lässt ist zwar spannend, aber dieser weltliche Wandel in Sachen Energie und Ökologie bietet lediglich die Kulisse und einen weit in den Hintergrund gerückten Rahmen für ein äußerst persönlich wirkendes Geflecht von Beziehungen, Lebenswegen, Wegfindungen nach Schicksalsschlägen, Neuerfindungen seiner selbst, wenn sich zur Lebensmitte rausstellt, dass man irgendwo falsch abgebogen ist und jetzt eigentlich Dinge tut, die man nie tun wollte. Ein Plädoyer für Treue und Aufopferung, aber auch für Wagemut. Den Mut Dinge zu ändern, auch jenseits der 40 Lenze nochmal neu anfangen zu können, das eigene Leben anzupacken und ändern zu können und ja, auch die Liebe stets neu zu entdecken – wenn es gut läuft, sogar mit dem langjährigen Partner. Die Entscheidung was am Ende passiert ist jedem selbst überlassen, und so wird der Fortgang der letzten Szene wohl von jedem entsprechend seines eigenen Lebensweges anders interpretiert und weitergesponnen werden. Mal wieder einer der Comics, über den ich auch nach Beendigung der Lektüre noch tagelang immer mal wieder nachgedacht habe.


Ein echtes, ehrliches, tief emotionales und erwachsen wirkendes Werk in großartigen Bildern, welches Autor und Zeichner Jaouen Salaün hier abliefert. Ich bin zumeist nicht so der Fan von digitalen Zeichnungen, und hier gehe ich einfach davon aus, dass digital gearbeitet wurde, jedoch bin ich sowohl vom modernen und klaren Artwork selbst, als auch von der ausdrucksstarken Kolorierung nach einigen Eingewöhnungsseiten derart begeistert gewesen, dass ich gerne noch seeehr lange weitergelesen und betrachtet hätte.

9/10

VG, God_W.